G. Verdi: Messa da Requiem

Ein höchst umstrittenes Werk
Verdi-Requiem - Neue Rheingauer Kantorei bringt im Geisenheimer Dom Extravaganz des Stückes zur Geltung

Wiesbadener Kurier, 24.11.2014

Geisenheim - Von Manuel Wenda

Die Neue Rheingauer Kantorei besteht aus fünfzig Sängerinnen und Sängern, die aus dem gesamten Rheingau, von Wiesbaden bis Kaub, stammen. Wenn man auf die vergangenen Jahre zurückblickt, fällt auf, was für ein vielseitiges Repertoire sich der Chor unter seinem Leiter Tassilo Schlenther erarbeitet hat. Alleine in diesem Jahr widmete er sich unterschiedlichsten Musikstilen.


Nachdem er im Frühjahr ein Programm mit Chormusik aus Skandinavien gestaltet hatte, präsentierte er nun im Rheingauer Dom zu Geisenheim ein Werk, welches für die Kulturgeschichte Italiens eine ganz besondere Bedeutung hat: die "Messa da Requiem" Giuseppe Verdis. Sie war nach ihrer Uraufführung höchst umstritten, teils stieß sie auf Begeisterung, teils auf Ablehnung. Das verwundert nicht, denn Verdi war eine zentrale Figur des Risorgimento, jener Bewegung, die auf die Gründung eines italienischen Nationalstaates hinarbeitete. Sie war antiklerikal und kämpfte gegen den Kirchenstaat.

Verdi selbst war nicht besonders religiös, und so wurde das "Requiem" eine sehr freie und persönliche Interpretation der römisch-katholischen Liturgie. Die Neue Rheingauer Kantorei und die Orchestervereinigung Glob'Arte brachten seine Extravaganz auf sehr eindrückliche Weise zur Geltung. Schon eine halbe Stunde vor Beginn hatte sich der Dom gefüllt, die Neue Rheingauer Kantorei ist zu einer festen Größe im kulturellen Leben der Region geworden. Das zarte Spiel der Violoncelli eröffnete das "Requiem", dann setzte der Chor ein. Bald brach die ganze Dramatik des Werkes herein. Tassilo Schlenthers feines Gespür für Dynamik und Agogik ermöglichte es, die zahlreichen Umschwünge und Extreme des Werkes auszukosten. In der Einleitung des "Dies Irae" flossen heiße Lava und eiskaltes Gletscherwasser ineinander. Hochkarätig war das Solistenquartett. Die Mezzosopranistin Kremena Dilcheva arbeitete mehrfach mit James Levine zusammen, voller Schönheit war ihr Gesang im "Liber Scriptus".

Opernhaftes Melos

Das "Recordare" bot sie mit der Sopranistin Tatjana Charalgina dar, hier trat ein besonderer Charakterzug von Verdis Schöpfung in den Vordergrund: Die beiden Frauen sangen flehentlich, aber auch selbstbewusst und würdevoll. Der Tenor Keith Ikaia-Purdy nahm die Botschaft auf und entwickelte sie im "Ingemisco" weiter. Das "Confutatis" interpretierte der Bass Peter Schüler sprühend, sein durchaus opernhaftes Melos stieg im Dom auf. Spätestens jetzt war klar: Verdi flehte nicht um Vergebung und Erlösung, nein, er forderte sie mit sehr viel Sinn für Form und Schönheit ein.

Im "Offertorium" wurde Charalginas Sopran von sphärischen Violinklängen umspielt. Hoch einzuschätzen ist die Leistung, die der Chor im "Agnus Dei" erbrachte. Am Ende erhoben sich die Zuhörer von den Kirchenbänken und applaudierten begeistert. Der Chor zollte den Solisten Respekt, den diese sogleich erwiderten.